In den Jahren
1726-1731 veröffentlichte
Johann Sebastian Bach seine
6 Partiten des 1. Teiles der
"Klavierübung". Seine
Zeitgenossen bewunderten
sogleich die hohe
Virtuosität und
Kunstfertigkeit dieser
Suiten. "Wer die Finger
nicht besser zu versetzen
weiß, wird schwehrlich
unsers berühmten Herrn
Bachens zu Leipzig Partien
auf das Clavier spielen
lernen können", schrieb der
gelehrte Herr Mizler. Bachs
erster Biograph Forkel ging
sogar noch weiter: "Wer
einige Stücke daraus recht
gut vortragen lernte, konnte
sein Glück in der Welt damit
machen". Nicht in der
Virtuosität liegt jedoch die
Bedeutung der Partiten,
obwohl vom Spieler eine hohe
Beherrschung des Instruments
verlangt wird. Ihr Sinn
liegt im musikalischen Spiel
des Geistes, das zwar wegen
seiner "Galanterien" den
Hörer mit französischer
Eleganz einzunehmen vermag,
das sich aber erst dem
Lernenden und dem Kenner in
seinen immer neuen
künstlichen Verschlingungen,
in seinen geordneten und
klingenden Schönheiten ganz
erschließen kann.
Schon die Tonartenfolge der
sechs Partiten ist geistvoll
angelegt: B c a D G e. Vom
Zentrum B aus, mit Bedacht
von Bach gewählt, erschließt
sich nach zwei Seiten ein
Tonraum, der durch immer
größere Intervalle gewonnen
wird: B - Sekund, c - a
Terz, dann folgen Quart,
Quint und Sext. Das
griechische Hexachordum
steht vor uns, wie ein
Fächer vom Zentralton aus
entfaltet. Vielleicht kann
man hinter der
aufwärtssteigenden Reihe von
B bis e, ähnlich wie in der
Tonfolge der englischen
Suiten, ein Choral-Thema
vermuten.
Wird dort der Anfang des
Liedes "Jesu, meine Freude"
eindeutig bezeichnet, so
klingt hier ein Choral an.
der mit seinem Text einen
unmittelbaren Bezug zur
Person des Komponisten geben
kann: "Es ist genug, so
nimm. Herr, meinen Geist".
Die Sätze der Partiten und
ihre Reihenfolge orientieren
sich am Vorbild der
französischen Suiten.
Regelmäßig erscheinen die
Stammsätze Allemande,
Courante, Sarabande und
Gigue, letztere allerdings
mit einer Ausnahme. Was die
großen Einleitungssätze, die
in jeder Partita eine andere
Form aufweisen, jedoch schon
andeuten, das wird in diesen
durch die Tradition
bestimmten Sätzen vollends
deutlich: daß sich nämlich
in den Partiten ein ganzes
Kompendium von Formen und
Ausdrucksmöglichkeiten
gesammelt hat, das nach dem
Vorbild einer viel älteren
Zeit gerade in der
Mannigfaltigkeit erfreuen
soll. Die Variabilität geht
so weit, daß nicht einmal
zwei unter den vierzig
Einzelsätzen in ihrer Anlage
gleich sind.
Die Vorspiele der beiden
Partiten unserer Aufnahme
deuten schon durch ihre
Benennung mit Praeludium und
Praeambulum auf einen
Unterschied hin. Während die
Einleitung der B-dur-Partita
ein gebundenes, singendes
Cembalo-Stück darstellt, ist
das Praeambulum der
G-dur-Partita thematisch
nicht gebunden, sondern
stürmt in zunächst kurzen,
dann endlosen Passagen
dahin.
Die Allemande, in allen
sechs Partiten als ruhiger
Satz im geraden Takt
geschrieben, weist trotz der
so ähnlichen Tempi und Takte
eine differenzierte
rhythmische Gliederung auf.
Dem ruhigen Spielwerk der
Sechzehntel-Passagen in der
Partita Nr. 1 steht ein
reiches Figurenwerk von
Triolen und Punktierungen,
vielfach sogar dreistimmig
geführt, in der 5. Partita
gegenüber. Bei der Courante
werden die Unterschiede
schon im Namen deutlich. Nur
zwei der Partiten tragen
nämlich die alte
französische Bezeichnung,
hinter der sich jenes
schwebende Wechselspiel
zwischen 3/2- und 6/4-Takt
verbirgt. Die anderen
Partiten, so auch unsere
beiden, gehören dem Typ der
schnellen italienischen
Correnta an, die in unserer
1. Partita im 3 4-Takt in
laufenden Triolen, im
Gegenstück der 5. Partita in
eilenden Sechzehnteln eines
3/8-Takts dahinzieht. Die
Unterschiede findet man in
der Sarabande, da die in
G-dur ungewöhnliche Auftakte
zeigt; in den Menuetten, wo
wiederum das in G-dur die
strenge Form verläßt und
konsequenterweise mit Tempo
di minuetto überschrieben
ist, und schließlich in der
Gigue. Während das
Schlußstück der 5. Partita
nämlich, wie es Tradition
ist, als fugiertes,
virtuoses Tanzstück
erscheint, dessen zweiter
Teil von Bach gar zu einer
Doppelfuge gesteigert wird,
ist der Schluß satz der I.
Partita in seiner homophonen
Anlage der italienischen
Giga nahe verwandt. Das
Spiel dieses
Charakterstückes bietet dem
Spieler mit dem Überschlagen
der Hände interessante
Spielprobleme, dem Hörer
zugleich ungewohnte
ätherische Klänge.
Dem Kenner vermögen die
Bachschen Partiten über die
klingenden Formen und
Ausdrucksweisen hinaus
geistige Anregung zu geben.
Allein hinter dem Schema der
Proportionen und Taktzahlen
erstecken sich nicht hörbare
geheime Spiele, an denen
Bach sicherlich seine Freude
hatte. So haben die beiden
ersten Sätze der
B-dur-Partita 21 und 38
Takte. Die genannten Zahlen
sind aber die Ziffern für
vier Buchstaben des
Alphabetes, die
aneinandergereiht B - A - C
- H ergeben. Die Sarabande
dieser Partita besteht aus
28 Takten. Es erscheint hier
also die doppelte Summe der
gesammelten Namens-Zahlen
des Thomaskantors "Bach". Im
letzten Satz der Partita
erscheint mit der Zahl 48
das Produkt dieser Zahlen 1,
2, 3 und 8. Ähnliche
Zahlen-Spiele kann man auch
in anderen Partiten finden.
So mag sich hinter der
ungewöhnlichen Takt-zahl von
95 im Praeambulum in der
Quersumme 14 wiederum die
Summe des Bachschen Namens
verstecken. Dieses manchmal
erheiternde Zahlenspiel hat
Bach Wohl bis in seine
letzten Lebensjahre hinein
gern betrieben, da es sich
auch in seinen späten Werken
findet.
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