Was war das
für ein Mann, Carl Philipp
Emanuel, jener dritte
geniale Sohn des
Thomaskantors Bach? Zu
seinen Bewunderern zählten
Haydn und Beethoven. Mit
Lessing, Klopstock und
Claudius war er befreundet,
mit Diderot stand er in
Brief-wechsel.
In Leipzig hatte Philipp
Emanuel das musikalische
Handwerk gelernt. "In der
Composition und im
Clavierspielen habe ich nie
einen andern Lehrmeister
gehabt als meinen Vater."
Der 17-jährige aber bezieht
die huristische Fakultät in
Leipzig, geht drei Jahre
spàter als Jurastudent nach
Frankfurt an der Oder,
vernachlässigt dazwischen
seine musikalischen
Interessen nicht, doch
überrascht es sogar seinen
Vater, daß er 1738 als
Kammercembalist an den Hof
des preußischen Kronoprinzen
Friedrich gerufen wird.
Später noch rühmte sich
Philipp Emanuel, daß er "die
Gnade hatte, das erste
Flötensolo, was Sie als
König spielten, in
Charlottenburg mit dem
Flügel ganz allein zu
begleiten." 27 Jahre blieb
Philipp Emanuel in Berlin;
mehrere Versuche, eine
andere Stelle zu erlangen,
schlugen fehl. "Seine
Majestät waren so gnädig,
alles dies (die anderen
Berufungen) durch eine
ansehnliche Zulage meines
Gehalts, zu vereiteln." Erst
mit dem Tod Telemanns,
seines Paten, eröffneten
sich dem längst berühmten
Komponisten und Pädagogen
die angesehene Stelle eines
Musikdirektors der fünf
Hauptkirchen der Hansestadt
Hamburg.
Der äußerlich eng umgrenzte
Lebenskreis Philipp Emanuel
Bachs täuscht über den
weiten Blick hinweg, den er
über die europäosche Musik
seiner Zeit und über die
geistigen Strömungen seines
Jahrhunderts tun konnte.
Zwar kam er kamm über
Leipzig, Berlin und Hamburg
hinaus, "Ich leugne nicht,
daß es mir ungemein lieb und
vorteilhaft würde gewesen
sein, wenn ich hätte können
Gelegenheit haben, fremde
Länder zu besuchen."
Französische und
italienische Musik aber
konnte er schon in Leipzig
studieren. Der überrangenden
Bedeutung seines Vaters
blieb er sich dabei
zeitlebens bewußt. "Man ist
von ihm gewohnt gewesen,
nichts als Meisterstücke zu
sehen." Der Musikerkreis am
Berliner Hof bezeichnete
dann allerdings den
äußersten Gegenpol zur
polyphonen Kunst Johann
Sebastians. In einer
Atmosphäre, die, vom König
selbst inspiriert, der
französoschen Kultur weit
geöffnet war, entfaltete
sich ein Schule bildener
galanter Stil, der in der
Begrenzung der Affekte ein
Ideal erblickte, nach dem
"die gar zu heftigen und
gewaltsamen Leidenschaften
von Rechts wegen aus dem
Systema der Musik verwiesen
werden" (Mattheson). Aus
einer musikalischen
Analreontik solcher art, die
im Kreis der Berliner
Musiker Quantz und Graun
allzusehr in Regeln gefaßt
schien, löste sich Carl
Philipp Emanuel schon bald.
Zwar konnten auch seine
frühen Klavierstücke "das
Gefällige, das Reizende, das
Scherzende und das
Tändelnde" (Görner)
ausdrücken. Doch ihm ging es
um mehr als um die
Künstlichkeit
konventioneller Formen und
Affekte.
"Alles Tändeln auf dem
Clavichorde, alles süßliche,
geistentnervende Wesen,
alles Berlockengeklingel der
heutigen Tonmeister" sei ihm
ein Greuel, so berichtet
Schubart. "Mich deucht, die
Musik müsse vornehmlich das
Herz rühren", schreibt
Philipp Emanuel in seiner
Selbstbiographie, "indem ein
Musickus nicht anders rühren
kann, er sey dann selbst
gerührt." Dies letzte Wort
aus seinem hervorragenden
pädagogischen Werk von 1753,
dem "Versuch über die wahre
Art, das Clavier zu
spielen", weist auf die
Ideale Rousseaus hin, nach
denen die Musik aus einer
reinen Wirkung des Gefühls
entspringen und, wie Philipp
Emanuel sagt, die Wiedergabe
aus der Quelle des
Empfindens kommen muß.
Für einen Musiker, der so
sehr auf Ausdruck und
Empfindung zielt, werden
Formprobleme zweitrangig.
Die Erfindungen der
Mannheimer Schule mußten
daher auch in unserer Zeit
lange das Bild des genialen
Bachsohnes verdunkeln; zu
vordergründig war die
Entwicklung der Sonatenform
in ihrer Bedeutung für die
Klassik gesehen worden. Daß
Philipp Emanuel Bachs Werke
in der Erschießung meuer
Welten des Ausdrucks weiter
reichten und in ihrer
Individualität unmittelbar
aud den reifen espressiven
Stil Beethovens weisen,
zeigen die Werke unserer
Aufnahme. Seine persönliche
Anteilnahme schildert der
komponist selbst. "Unter
allen meinen Arbeiten,
besonders fürs Clavier, sind
blos einige... Concerte,
welche ich mit aller
Freyheit und zu meinem
eignen Gebrauch gemacht
habe." Das Oboenkonzert
Es-dur existiert wie alle
Solo-Konzerte auch in einer
Fassung für Clavier. Als
Datum der Entstehung wird im
Nachlaßkatalog Berlin 1765
genannt. Wenn auch die
Ecksätze einem galanten Stil
verpflichtet sind, zeigt
sich doch schon zu Anfang
des Werkes jener
charakteristische Gegensatz
zum weichen Mannheimer Stil,
der sich bei Philipp Emanuel
schon in den
Spielanweisungen äußert. Die
zahlreichen Keile über den
noten, die der Komponist in
den Autographen mit Sorgfalt
setzt, vor allem aber die
seltenen Tenuto-Zeichen
weisen auf einen Bogenstrich
französischer Manier hin,
der oft kutz und etwas
trocken ist. Um so
eindringlicher heben sich
die gebundenen Noten und die
Verzierungen ab, die den
erregten schnellen Sätzen
durch ihren Kontrast
sprühende Eleganz verleihen.
Höhepunkt des Konzertes ist
jedoch, wie oft bei Philipp
Emanuel Bach, jenes
seufzende Adagio in c-moll,
das in kühnen, tonal bis an
die Grenzen des harmonischen
Systems rührenden Melodien
eine Espressivität schafft,
die doch immer einen Hauch
des Künstlichen bewahrt. Vor
einem solchen Satz, wird
Klopstocks Grabschrift für
den Hamburger Bach
verständlich "War grß... in
der kühnen sprachlosen
Musik". Neben dem
Oboenkonzert erscheint das
1748 in Potsdam entstandene
Cembalo-konzert d-moll wie
eine Vorahnung jenes
musikalischen Sturm und
Drang, dem Bach selbst in
seinen späten Hamburger
Werken huldigte.
Der heroische Affekt der
Tonart d-moll, bei J. S.
Bach so oft königlich
dargestellt, wird hier
umgewandelt zum
leidenschaftlich erregten
Spiel, beidenen die
gewaltsamen Oktav-Sprünge
mit aufgereckter Gebärde das
Pathos kommender
Meisterwerke in dieser
berühmten Tonart
vorwegnehmen. Der manirierte
Stil einer von Frankreich
her inspirierten Kunst
verbindet sich mit dem Ton
reiner Empfindung, die
allerdings vor Gegensätzen
nicht zurückschreckt.
Philipp Emanuel Bach war
einer der großen
Klavierspieler seiner Zeit.
"Seele, Ausdruck, Rührung,
das hat Bach erst dem
Clavier gegeben", schreibt
Reichardt. Die hohe
Virtuosität des Klavierparts
ist vor allem in unserem
d-moll-Konzert volkommen der
Idee der Sätze zugeordnet.
In erstaunlichen
Schwierigkeitsgraden bewegen
sich aber auch die Figuren
der Violinen, für die der
Meister des Claviers mit
einer gewissen
Rücksichtslosigkeit
schreibt, wobei allerdings
das klingende Ergebnis
vielleicht um so
exzentrischer wirken mag.
Es bleibt zu sagen, daß die
Mitglieder des Collegium
aureum altitalienische und
deutsche Instrumente des 16.
bis 18. Jahrhunderts
benutzen, daß die Violinen
mit Darmsaiten bespannt sind
und mit Barockbogen gespielt
werden.
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